Von der Leichtigkeit des Seins

Die schwerste Last ist also zugleich das Sinnbild der intensivsten Fülle des Lebens. Je schwerer die Last, je näher unser Leben der Erde ist, desto realer und wirklicher wird es sein.
Milan Kundera „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“
Wer hätte das gedacht? Vor 3,5 Jahren war ich gerade damit beschäftigt langsam wieder ein gesundes Verhältnis zum Essen aufzubauen. Auszutesten, welche Lebensmittel mir gut tun, zu spüren, was Hunger und Sättigung bedeuten. Ich konnte quasi dabei zuschauen, wie ich täglich an Gewicht verlor. Der Ballast, den ich über 20 Jahre angesammelt und mit mir herumgetragen hatte. „ByeByeDoppelkinn“ bestimmte meinen gesamten Tagesablauf und mein gesamtes Sein.
Seitdem hat sich viel verändert. ICH habe mich verändert. Rückblickend war es eine intensive Zeit. Mit vielen Höhen und Tiefen die mich geprägt haben. Die mich stärker gemacht, aber auch viel Kraft gekostet haben. Damals – das hört sich so an, als wäre das schon Jahrzehnte her – dachte ich, alles wird „leichter“, wenn ich erstmal abgenommen habe. Dass das nicht zwingend so ist, habe ich allerdings ziemlich schnell mitbekommen.
Mit dem Gewicht im „Normbereich“ angekommen, tauchten auf einmal neue Baustellen auf, die ich auch schon in diversen vergangenen Bloggbeiträgen aufgearbeitet habe. Meine hängende Haut und die damit einhergehenden Wahrnehmungsstörungen meines Körpers, der kräftezehrende Kampf mit der Krankenkasse, die Diagnose Rheumatoide Athritis, mein Burnout Anfang des Jahres, der Verlust eines meiner besten Freunde, der sich entschied nicht mehr leben zu wollen.
Jede Herausforderung habe ich angenommen. Hab mir professionelle Hilfe gesucht. Hab für mich Wege gefunden das zu verarbeiten. Hab auch die „negativen“ Gefühle, die aufkamen, angenommen und genutzt daran zu wachsen. Was mich nicht umbringt macht mich stärker.
Ich glaube, der Gedanke war für mich noch nie so real, dass mit dem Leben auch eine gewisse Leichtigkeit einher gehen kann. Eine Leichtigkeit, die sich gut anfühlt. Denn, ganz ehrlich, bei all dem, was ich bisher so durchgemacht habe, was sollte da noch kommen? Irgendwann ist es auch mal gut mit „Lektionen, die uns das Leben lehrt“. Ich hatte doch schon so viel gelernt.
Nun ja, das Leben schreibt seine eigenen Gesetze und ist immer wieder für eine Überraschung gut.
Ein bisschen Leichtigkeit hab ich wieder verloren, als ich vor 3 Wochen im Besprechungszimmer meiner plastischen Chirurgin saß. Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass es ein ganz normaler Kontrolltermin für mein Bruststraffung wird. Ich war so unendlich glücklich über meine „neuen“ Brüste. Für mich war die Bruststraffung, so blöd das klingt, fast noch einschneidender als die Entfernung der Bauchschürze, da meine Brüste für mich der ultimative Ausdruck von Weiblichkeit sind. Ein weiterer großer Schritt hin zu mehr Selbstakzeptanz, mehr Selbstliebe und Ankommen in meinem „neuen“ Körper.
Es traf mich wie ein Schlag, als meine Ärztin mir eröffnete, dass das auffällige Gewebe, das sie während der OP aus meiner Brust entfernt hatte, leider nicht so harmlos gewesen ist, wie wir gedacht hatten. Im Aufklärungsgespräch – zwei Wochen zuvor – hatte sie mir schon erklärt, dass durchschnittlich bei jeder 8. Frau so etwas gefunden wird. Jede 8. Frau. Ehrlich gesagt, bin ich fest davon ausgegangen, dass ich eine der 7 anderen bin. Ich nehme ja sonst alles mit, aber sowas ist bei uns in der Familie bisher noch nie vorgekommen.
Das „Ding“ in meiner Brust war ein DCIS (Ductales Carcinum in situ). 3,6 mm. Eine Vorstufe zu Brustkrebs. Zu klein um es ertasten zu können, groß genug, dass es meine plastische Chirurgin bei der OP gefunden hat. Zum Glück.
So ein DCIS ist schon echt fies. Das Ding KANN weiter entarten und sich zum ausgereiften Brustkrebs entwickeln, MUSS aber nicht. Die Wahrscheinlichkeit liegt wohl so bei 50-70%. Das Gute, wird es rechtzeitig entfernt, liegt die Heilungschance bei nahezu 100%. Also, Glück im Unglück würde ich sagen!
Nichtsdestotrotz hat es mich erstmal umgehauen. Und das mit voller Wucht. Unter Gefühle, wie unendliche Dankbarkeit und Erleichterung, dass es rechtzeitig entdeckt und entfernt wurde, mischen sich auch Gefühle der Fassungslosigkeit, Angst und Trauer. Trauer darüber, dass mir nun die nächste Herausforderung vor die Füße geknallt wird. Eine Herausforderung, die ich mir nicht selbst ausgesucht habe.
In den letzten 3 Wochen hab ich so viel Zeit in Wartezimmern verbracht, Fragebögen ausgefüllt und Aufklärungsgespräche mit Ärzten geführt, dass ich mich manchmal schon wirklich krank fühle.
Ich sag mir immer wieder: Alex, du bist nicht krank! Auch die Strahlentherapie, die ab nächster Woche ansteht, ist rein prophylaktisch. Gehört einfach dazu, um sicher zu stellen, dass wirklich alle auffälligen Zellen zerstört werden und um die Wahrscheinlichkeit zu minimieren, dass so ein Ding wiederkommt oder im „worst case“ ein richtiges Mamma Carzinom entsteht. Und doch heißt das: 5 Wochen täglich in die Praxis zur Bestrahlung.
(„Fun Fact“ nebenbei: Samstag und Sonntag hab ich „frei“. Als würden die Krebszellen am Wochenende auch ne Pause einlegen. Bei dem Einwand meinerseits mußte selbst der Radiologe schmunzeln.)
Aber hey, … ich bin ja ein Stehaufmännchen. Natürlich versuche ich mir das alles etwas „schöner“ zu reden und tapfer zu sein. Die Markierungen auf meiner Brust für die Bestrahlung nenne ich liebevoll „Kriegsbemalung“ und die täglichen Taxifahrten zur Praxis und wieder nach Hause (die die Krankenkasse übernimmt) sind mein persönliches VIP Shuttle. So versuche ich mir MEINE Leichtigkeit des Seins, die ich mir in den vergangenen Monaten so hart erarbeitet hatte, zurückzuholen. Stück für Stück. Zumindest ist das mein Plan. Und ich wünsche mir gerade nichts sehnlicher, als dass mein Plan funktioniert!
Ich seh das so: Einfach noch ne Aufwärmrunde drehen bevor es dann so richtig losgeht. Wie in der Formel 1. In meinem Leben hab ich die Pole Position!
Oder wie es Flinte und FloMega in ihrem Song „Die Beschissenheit der Dinge“ so schön formulieren:
Und alles was ich habe, ist nichts mehr zu verlieren, und weil ich immer wieder starte, mit roten Zahlen auf Papier, gehört jeder Anfang mir!
Flinte und FloMega, „Die Beschissenheit der Dinge“
In diesem Sinne,…
Alles Liebe Eure Alex