Herzlich Willkommen, Herr Bypass!

Tag 67. Tag 5 post OP. 04:38 morgens

Ich bin gerade wach geworden. Schlafen funktioniert zwar viel besser als im Krankenhaus, aber die Nähte am Bauch zwicken und zwacken bei jeder Bewegung.

Bevor ich wieder einschlafen kann fangen meine Gedanken an zu kreisen.

Jetzt da ich zur Ruhe komme, habe ich Zeit alles zu verarbeiten, was in den letzten Tagen so passiert ist und mir wird klar:

Ich habe es tatsächlich getan! WIRKLICH! Ich habe es durchgezogen! So richtig… mit allen Konsequenzen. Ich bin ein bißchen stolz auf mich.

Rückblickend war alles gut so

Im Dunkeln starre ich an die Decke, immer noch etwas überwältigt von den Ereignissen der letzten Tage, und erinnere mich daran, wie ich im letzten September den endgültigen Entschluss gefasst habe. Ich sass weinend bei meiner Hausärztin, weil ich mich nicht mehr bewegen konnte.  Meine Knie schmerzten bei jedem Schritt, der Rücken brachte mich um den Verstand, ich bin nachts mehrmals aufgewacht um Wasser zu lassen und hatte sogar Schwierigkeiten einzuhalten. Mir war das so unendlich peinlich! Zum ersten Mal hab ich damals unter Tränen so offen darüber gesprochen.

Anfangs ging es mir nicht schnell genug. Ich wollte einfach nur noch, dass das aufhört. Im Nachhinein betrachtet, ging die Zeit gefühlt doch recht schnell vorbei und um ehrlich zu sein, habe ich auch etwas Zeit gebraucht. Zum Einen um endgültig mit meinem alten „Lebensstil“ abzuschließen und zum Anderen um mich auf den Neuen vorzubereiten. Besonders die 3 Wochen Eiweissphase haben mir nochmal gezeigt, dass ich meine Essstörung im Griff habe und nicht anders herum! Ja, ich bin stolz auf mich, weil ich durchgehalten habe. Und ich bin stolz darauf, es durchgezogen zu haben.

Der Tag der OP

Da ich Dienstag früh gleich als erstes auf dem OP Plan stand, mußte ich schon um 6:45 Uhr in der Klinik sein. Allen Befürchtungen zum Trotz habe ich die Nacht davor tatsächlich gut geschlafen und bin erst um 5:30 Uhr durch den Wecker wach geworden! Zum Glück kann ich wieder durchschlafen – welch ein Segen!

ich_op6:45 Uhr stand ich dann pünktlich am Schwesternzimmer der Station 7F. Nachdem mich ein Pfleger in mein Zimmer gebracht hatte, hieß es dann auch gleich: “ Ziehen sie sich bitte um, sie werden bereits um 7 Uhr abgeholt und auf die Narkose vorbereitet.“ Brav folgte ich den Anweisungen des Pflegers und zog mein sexy rückenfreies OP Outfit an.  Das obligatorische Selfie durfte nicht fehlen und dann wartete ich. Ich wartete und sah die letzten Monate an mir vorbeiziehen.

Irgendwann kam dann ein Pfleger und schob mich in meinen Bett durch endlos lange Flure bis wir im OP Bereich ankamen. Gefühlte 100 Mal wurde ich nach meinen Namen, dem Geburtsdatum und der Art der OP gefragt, die durchgeführt werden sollte. Rein aus Spaß hätte ich vielleicht einfach mal  sagen sollen: „Bin ich hier nicht beim Zahnbleaching?“, aber auf sowas kommt man natürlich nicht, wenn man im Kittel und OP Haube, halb nackt auf dem OP Tisch liegt. Ich lag also da, und wartete  – wieder. Das Gewusel von Schwestern und Pflegern vor der geöffneten Tür erinnerte mich ein wenig an Emergency Room. Der nette Narkose Arzt, Mitte 20, optisch durchaus „Emergency Room“ –  tauglich,  lies sich sogar noch zu einem kleinen Plausch hinreißen. Auf die Frage, wie lange das denn noch so dauern würde, fragte er mich, ob ich denn noch was vor hätte. „Na, eigentlich hab ich geplant mit meinen Mädels abends noch auf den Kiez zu gehen!“ Er lachte kurz, legte meinen Zugang und sagte: „Wenn Sie das hinkriegen, komm ich mit!“ Mit einer anderen Schwester unterhielt ich mich über die Parallelen zwischen der Realität als Op-Schwester und Greys Anatomy, bis wir dann beide feststellten, dass sowieso nichts über Dr. House geht!

In den letzten 5 min überlegte ich tatsächlich noch vom OP Tisch zu hüpfen und mir im Restaurant um die Ecke ein saftiges Rindersteak zu gönnen – zu spät allerdings. Da ich bereits festgeschnallt war, beschloß ich schließlich es sein zu lassen und mich lieber mit guten Gedanken in die Narkose zu verabschieden. Ich bin nicht unbedingt spirituell veranlagt, aber in solchen Momenten fängt man dann doch an zu beten. Zu Gott, dem Universum oder dem was sonst da oben ist. Leicht beunruhigt führte ich ein kurzes Gespräch mit meinem Körper. Ich dankte ihm für die letzten Jahre in denen er so gut durchgehalten hatte. Sagte ihm wie stolz ich auf ihn bin und dass das jetzt nur zu unserem besten sei. Mit einem innerlichen „Tschaka“ war ich schon dabei meine Motivationsrede abzuschließen, da kam mir noch der Tip meiner Tante in den Sinn, ich solle doch zur Beruhigung an springende Delphine im Meer denken. Noch bevor ich – kurzzeitig völlig panisch – vor meinem geistigen Auge auch nur einen Delphin springen lassen konnte, war ich schon weg.

ichnachopAufgewacht bin ich auf der Wachstation. Ich kann mich an nicht viel erinnern, nur das ständige Piepen irgendeiner Maschine und das Wimmern einer anderen Patientin, die unbedingt ihren Mann anrufen wollte, hab ich noch im Ohr. Zeitgefühl ade. Selbst als später meine Mutter an meinem Bett sass, hatte ich Mühe meine Augen aufzuhalten und ein Gefühl zwischen Übelkeit, Kreislaufproblemen, undefinierbaren Schmerzen und Erschöpfung ließ mich immer wieder weg dämmern.

Dr. Charming

Am nächsten Tag allerdings besserte sich mein Zustand schlagartig als Dr. Sandmann zur Visite das Zimmer betrat. Dr. Sandmann (der Name klingt schon so wie einem Rosamunde Pilcher Roman entsprungen) hatte mich operiert. Dr. „Prince-Charming“ Sandmann, wie er unter den Patienten genannt wird. Die Visite entpuppte sich die nächsten zwei Tage als Highlight meines Tages. Bei unseren kleinen Smalltalks über meine vorbildlich geschrumpfte Leber kam ich mir vor wie in der ersten Klasse, als meine Lehrerin gelbe Sterne für besonders sorgfältig ausgeführte Hausaufgaben verteilt hatte.  Mein zweites Date mit ihm hatte ich mir allerdings – gemäß der Rosamunde Pilcher Verfilmungen- irgendwie etwas anders vorgestellt. Also nicht unbedingt unter Narkose mit aufgepumptem Bauch auf einem OP -Tisch (so schnell hat mich noch kein Mann nackt gesehen), aber hey, … mit dem Ergebnis bin ich zufrieden. Kann man eigentlich mit Wimperntusche und Lippenstift in den OP?

essenop

Nun mal ganz ernsthaft

Auch wenn ich hier oft mit einem zwinkernden Auge schreibe, muss ich abschließend mal in aller Deutlichkeit sagen:

Auch diese OP ist mit Schmerzen verbunden. In den ersten drei Tagen nahm ich die Schmerzmittel 4mal am Tag wirklich dankbar an. Man fühlt sich permanent voll. Nun weiß ich, wie sich der Wolf in „Der Wolf und die sieben Geißlein“ gefühlt haben muss – mit 7 Backsteinen im Bauch. An die geforderten 1,5 – 2 Liter Wasser, die man täglich trinken soll, kommt man anfangs nicht ansatzweise heran. In der Regel muss mit einer Infusion aus Kochsalzlösung nachgeholfen werden. Trinken ist mühsam. Alle 3-4 Minuten ein Schluck. Mehr ist nicht drin. Das Trinken entwickelt sich zur Tagesaufgabe. Der neue Magen fasst gerade mal 50ml. Schon ein Löffel zu viel kann das Fass zum Überlaufen bringen und zwei Stunden Übelkeit nach sich ziehen. Ich hatte, im Gegensatz zu meiner Bettnachbarin, das Glück, dass ich nicht unter übermäßiger Übelkeit litt und mich nicht ständig übergeben mußte. Aus Erzählungen weiß ich, dass das nicht selbstverständlich ist. Inzwischen versuche ich zuhause meinen Tagesablauf zu strukturieren. Da ich nicht gleichzeitig essen und trinken darf (es muss immer eine Stunde dazwischen liegen) ist das nötig, damit ich überhaupt irgendwie auf die geforderte Menge an Flüssigkeit pro Tag komme.

Mir ist wichtig nochmals zu betonen: Diese OP ist nicht der leichte Weg oder die „Abkürzung“ in ein leichteres Leben. Sie liefert einen Anstoß, eine Starthilfe, aber die Veränderung im Kopf und im alltäglichen Leben – das liegt ganz und gar in meiner eigenen Verantwortung. Niemand kann mir das abnehmen. Veränderungen können gut sein und sind immer eine Chance etwas anders, vielleicht besser zu machen. Lasst uns mutig sein und die Chancen ergreifen, die das Leben uns bietet. Es ist nie zu spät.

Kisses eure

Alex

P.s. Alle Namen, also quasi der von Dr. Charming, vorsorglich abgeändert.

2 Comments on “Herzlich Willkommen, Herr Bypass!”

  1. Hallo Alex,
    Ich bin 3 Tage nach dir operiert worden und freue mich sehr, hier von deinen Erfahrungen zu lesen! Sehr nett geschrieben, bin gespannt wieviel „ähnliches“ wir erleben werden! Toi toi toi dir!! Alles liebe, Hannah

    Like

    • Hallo Hannah,
      Freut mich, dass es dir gefällt und ich bin gespannt, ob du dich in der ein oder anderen Sache vielleicht Wieder erkennst ☺️☺️☺️ ich würd mich über dein Feedback freuen.
      Liebe Grüße
      Alex

      Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

%d Bloggern gefällt das: